14. Kapitel
Adam hängte ein und schob sein Handy wieder in die Brusttasche. Lea, die ihn beobachtet hatte, fühlte sich schon etwas ruhiger, jetzt wo sie wusste, dass Mary und Liam rausgegangen waren, um den Eingang zu bewachen.
Irgendwo fiel klirrend ein Glas zu Boden, und Lea schoss einen halben Meter vom Stuhl hoch.
Okay, vielleicht doch nicht so ruhig.
»Keine Angst, jetzt sind wir sicher.«
Lea lachte. Es klang leicht irre, aber sie konnte nicht anders. »Wir müssen zur Polizei gehen«, sagte sie dann. Das war zwar offensichtlich, aber im Moment half es ihr, das Naheliegende einfach laut auszusprechen. Die Worte verankerten sie wieder in der Realität, und es fiel ihr immer schwerer zu glauben, was um sie herum geschah.
Erst hatte sich herausgestellt, dass Adam, für den sie ...
was auch immer zu empfinden begonnen hatte, ein Vampir war. Und dann wurde auch noch auf sie geschossen. Ihr Verstand konnte damit nicht wirklich umgehen, und so beschränkte sie sich darauf, kleine, offensichtliche Dinge zu bemerken. Dinge, die sie bestätigt haben musste.
»Sie wollten uns umbringen«, sagte sie leise, fassungslos.
»Wir müssen zur Polizei, oder?« Wieder sagte er nichts.
Diese Macho-Schweigemasche ging ihr allmählich auf die Nerven! Lieber wütend werden, als vor Angst zu zittern, war Leas Devise. Also ließ sie ihrem Zorn freien Lauf.
»Ich hab nicht um diesen ganzen Mist gebeten, klar? Ich wollte nie was mit dir und deinen, deinen ... mit euch zu tun haben! Seit Liam mir von eurer Existenz erzählt hat, bin ich euch aus dem Weg gegangen. Geister allein reichen mir vollauf! Ich brauche nicht noch mehr Komplikationen in meinem Leben. Und jetzt schau mich an! Ich bin mit einem Blutsauger auf der Flucht vor einer Bande von Profikillern!«
»Genug.«
Adams Gesichtsausdruck war mörderisch, aber das war ihr egal. Also hatte sie da einen Nerv getroffen? Wahrscheinlich der Begriff ›Blutsauger‹ - Liam geriet auch immer außer sich, wenn sie das Wort benutzte.
»Ich verstehe ja, dass du unter Schock stehst, aber du musst dich jetzt wirklich zusammenreißen.«
Zusammenreißen? Lea starrte ihn fassungslos an. Als ob sie sich nicht bereits zusammenriss! Sie fand, dass sie unter den gegebenen Umständen noch ziemlich ruhig war.
Aber er war schon wieder am Telefon. »Sybil, gib mir William, es ist dringend. William? Ja. Ich bin in Schwierigkeiten. Wir sind in einem Pub namens Berts. Gut, wir warten hier.«
Leas Blick war derweil auf die schwarze Kreidetafel gefallen, auf der die Gerichte des Tages standen. Oben auf der Tafel stand der Name des Pubs: Teuchters.
»Äh, Adam, ich weiß ja nicht, mit wem du gerade geredet hast, aber ...« Sie zeigte auf die Tafel.
»Ich könnte jetzt wirklich einen Drink gebrauchen«, unterbrach er sie. »Und du?«
»Nein, aber ich wollte dir sagen, dass ...«
Und schon waren seine Lippen auf den ihren.
Lea war derart überrumpelt, dass sie nicht einmal auf den Gedanken kam, sich zu wehren. Und als er sie dann auch noch ganz zu sich herumdrehte und seine Zunge in ihrem Mund die herrlichsten Dinge anzustellen begann, wusste sie auf einmal nicht mehr, warum sie sich überhaupt wehren sollte ... Seiine Lippen waren so warm, und er schmeckte so gut, irgendwie nach Portwein. Als er kurz darauf kleine Küsse auf ihren Unterkiefer drückte, seufzte sie leise.
»Stell keine Fragen, geh einfach nur zur Bar, und hol uns was zu trinken. Bitte«, flüsterte er ihr ins Ohr.
Lea schüttelte die sinnliche Betäubung ab, die sich wie ein zarter Nebel auf ihr Gehirn gelegt hatte.
»Nick, wenn du verstanden hast«, flüsterte er.
Lea nickte langsam. Sie wusste zwar nicht, was er vorhatte, aber das letzte Mal, als sie seinen Befehlen folgte, hatte ihr das das Leben gerettet. Adam richtete sich auf und zwinkerte ihr auffordernd zu. Los, spiel deine Rolle, schien er ihr sagen zu wollen.
Lea räusperte sich. »Äh, willst du was zu trinken? Ich glaube, ich hol mir was.«
»Ja, einen Whisky, bitte. Einen doppelten.«
Er gab ihr einen Zwanzigpfundschein, den sie in die Tasche schob, während sie sich erhob und zur Theke ging. An der Bar drängten sich die Leute. Lea schob sich zwischen zwei Männern an die Theke und wandte sich dann um, um Adam zu beobachten, während sie wartete. Er war aufgestanden und ging Richtung Ausgang, blieb dann aber an einem der großen Fenster stehen und spähte unauffällig auf die Straße hinaus.
»Alles in Ordnung, Lea?«, erklang Marys Stimme plötzlich an ihrem linken Ohr. Lea machte schon wieder einen Sprung.
»Ja. Ja, geht schon«, flüsterte sie ein wenig atemlos.»Ah, wo ist Liam?«
Marys Stimme hatte plötzlich einen stählernen Klang.
»Immer noch draußen. Hält Ausschau nach den Mistkerlen, die Adam angeschossen haben.«
Lea fuhr zusammen. »Angeschossen?«, zischte sie.
»Adam wurde angeschossen? Wo?« Sie schaute zu dem Vampir hinüber, musterte ihn von Kopf bis Fuß, konnte aber keine Verletzung entdecken.
»Lea, das alles tut mir so leid«, sagte Mary nun, als habe sie Leas Frage überhaupt nicht gehört. »Dass ich dich in diesen Schlamassel hineingezogen habe. Das wollte ich nicht.«
Lea schloss einen Moment die Augen, um sich zu sammeln. Ja, wie war sie eigentlich in diesen Schlamassel geraten?
»Sie sehen aus, als könnten Sie einen Drink gebrauchen«, sagte eine neue Stimme.
Lea riss die Augen auf. Der Barmann, ein kräftiger, untersetzter Mann, stand vor ihr und schaute sie fragend an.
»Sie haben ja keine Ahnung!«, sagte Lea. »Zwei doppelte Whisky, ja? Talisker, wenn Sie haben.«
»Kommt sofort.« Er zwinkerte ihr zu und begann, die Drinks einzuschenken.
Ob Adam überhaupt diese Sorte Whisky mochte?, überlegte sie, völlig irrational. Sie selbst war keine große Whisky-Trinkerin, aber wenn sie mal einen bestellte, dann gewöhnlich einen Talisker. Er kam von einer Whisky-Distillerie auf der Isle of Skye, die sie einmal besichtigt hatte.
Und seitdem trank sie eben diese Sorte. Das musste reichen.
»Wir werden von einer Bande Killer verfolgt, und ich mache mir Sorgen, dass ich die falschen Drinks bestelle!«, schalt sie sich.
»Wie bitte?«, fragte Mary.
Doch in diesem Moment tauchte der Barmann mit ihren Whiskys auf und enthob sie einer Antwort.
»Hier, bitte sehr, zwei Doppelte. Macht elf Pfund.«
Lea reichte ihm lächelnd den Zwanzigpfundschein und nahm das Wechselgeld entgegen. Mit dem Geld in der Hand wollte sie gerade zu den Gläsern greifen, als sie jäh herumgerissen wurde. Die Münzen fielen klirrend zu Boden und kullerten über die Holzdielen. Adam hatte sie am Arm gepackt.
Er legte warnend den Zeigefinger auf ihre Lippen, dann zog er sie von der Bar weg, nach hinten, zum Hinterausgang. Der kalte Wind schlug ihnen ins Gesicht, und hinter ihnen knallte die Pubtüre zu. Sie tauchten sofort in eine Seitengasse ab.
»Da bist du ja!«, rief Liam, plötzlich wieder dicht bei ihr. »Diese Mistkerle sind drüben, auf der anderen Straßenseite, in Berts Bar, aber das weißt du ja wahrscheinlich schon. Mensch, Lea, ich hab deine Stimme gehört, als ich ihnen gefolgt bin! Sie müssen dir eine Wanze verpasst haben!«
Eine Wanze? Jetzt verstand sie, warum Adam sich so seltsam benahm. Die falsche Adresse. Sein Schweigen ... er hatte es gewusst.
Adam zog sie die schmale Außentreppe zu einer verlassen wirkenden BasementWohnung hinab. Jetzt waren sie von der Straße aus nicht mehr zu sehen. Er war sicher, dass ihre Verfolger noch ein paar Minuten länger brauchen würden, ehe sie entdeckten, dass ihre Opfer nicht im Berts zu finden waren. Trotzdem war es besser, wenn Lea nichts sagte.
Mit großen, erschrockenen Augen schaute sie zu ihm auf.
Ihr Atem kam stoßweise, bildete weiße Dampfwölkchen vor ihrem Gesicht. Er konnte ihr Herz wummern, ihr Blut rauschen hören. Verdammt. Sie brauchte ein paar beruhigende Worte. Und er brauchte Blut. Für keins von beidem war Zeit.
Die Wanze war schnell gefunden. Ein kleines schwarzes Ding, hinten auf ihrer rechten Schulter. Es sah aus wie etwas, das zufällig an ihrem Mantel hängen geblieben war.
Adam fasste es nicht an. Die Wanze musste noch ein wenig länger ihren Dienst tun - aber diesmal für sie.
»Komm schnell, ich seh sie kommen!«, stieß er in gut gespieltem Schrecken hervor. Lea schaute fragend zu ihm auf. Er hoffte, dass sie schnell begriff, was er vorhatte. »Ich weiß, wo wir uns verstecken können.«
Sie legte lauschend den Kopf zur Seite, dann nickte sie.
Adam hätte nicht sagen können, ob das Nicken ihm galt oder jemand anderem; sie konnte doch nicht schon wieder mit ihren Geistern reden, oder?
»Wo denn?«, fragte sie, den Blick fest auf ihn gerichtet.
Er nickte zustimmend, um ihr zu signalisieren, dass sie das Richtige tat.
»Princess Street Gardens. Da ist um diese Zeit niemand.
Wir können uns unter den Bäumen verstecken, bis wir wieder sicher sind.«
Er deutete zur Treppe und nahm Lea bei der Hand. Ihre Finger waren eiskalt. Warum hatte er nicht daran gedacht, ihr auch noch eine Mütze und Handschuhe zu kaufen?
Aber das half jetzt nichts. Sie mussten weiter.
Sie rannten weiter, Shandwick Place, vorbei an Geschäften, an Passanten, deren Gesichter nur so an ihnen vorbeiflogen. Keuchend folgte ihm Lea auf die andere Straßenseite, wo der Eingang zu den Princess Street Gardens auftauchte.
Am Eingang blieb Adam stehen. Lea stützte keuchend die Hände auf den Knien ab.
»Unter den Bäumen da hinten können wir uns verstecken«, sagte Adam. Und das stimmte, die Bäume boten wirklich ein ausgezeichnetes Versteck für das, was er vorhatte. Dann zupfte er die Wanze von Leas Schulter und zerdrückte sie.
»War das die Wanze?«, fragte Lea keuchend.
»Ja. Hör zu, wir haben nicht viel Zeit, sie werden gleich hier sein. Hier, du nimmst jetzt meinen Hotelschlüssel und gehst auf mein Zimmer. Und rühr dich nicht von der Stelle, bis ich komme!« Er drückte ihr seine Schlüsselkarte in die Hand.
»Aber ...«
»Kein Aber! Los, RENN!«
Er wusste, dass er nicht gerade höflich war, aber sie sollte fort sein, wenn sie auftauchten! Mit grimmigem Gesicht wandte sie sich ab und rannte davon. Adam schaute ihr nach, bis sie verschwunden war, um sicherzugehen, dass sie nicht verfolgt wurde. Dann betrat er den Park.
Hinter dem Eingang ging es einen Abhang hinab zu einer Senke, in der dicht die Bäume wuchsen. Adam huschte über das froststarre Gras. Die Nacht brach herein; bald würden sie da sein. Er tauchte unter einen Baum mit besonders niedrigen Ästen und holte sein Handy hervor.
»William?«
»Teufel noch mal, Adam, was ist los? Du hast aufgehängt, bevor ...«
»Keine Zeit.« Adam schaute aufmerksam zum Eingang hinauf. »Vier Profikiller sind in Cems Haus eingedrungen. Sie waren auf der Suche nach einer Frau. Sie ist jetzt in meinem Hotelzimmer. Sind sonst noch irgendwelche Agenten in der Stadt?«
Er hörte das Klappern von Keyboard-Tasten, dann: »Sean McLeod. Hat gerade einen Auftrag hier in der Stadt abgeschlossen. Ich schicke ihn hin.«
Am Eingang tauchte ein großer Schatten auf. Adams Augen wurden schmal, und er grinste erwartungsvoll.
»Gut. Muss Schluss machen.« Er hängte auf.
Adam schob sein Handy in die Tasche und machte sich bereit.